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Jutta Hoffmann. Schauspielerin

Buchtipp

Ich kann mich noch genau erinnern, wie meine Liebe zu Jutta Hoffmann begann. 1984. Peter Zadek inszenierte Lorcas «Yerma» an den Münchner Kammerspielen. Jutta Hoffmann spielte die Frau mit dem übermächtigen Kinderwunsch. Eine Szene traf mich und ist seither nicht mehr aus dem Sinn gegangen. Yermas Mann Juan geht morgens zur Arbeit. Sie reicht ihm ein Glas Milch. Juan will nicht. Es steht etwas zwischen ihnen. Mit freundlich sorgender Insistenz setzt sie ihm das Glas an die Lippen. Die Flüssigkeit rinnt die Mundwinkel hinunter bis das Glas leer ist. Der Gestus der Verweigerung auf der einen Seite, die Beharrlichkeit der Werbung auf der anderen hatte etwas Elementares, durch keine Erklärung Einholbares. Zwei Menschen, die durch eine Wand von einander getrennt sind. Jutta Hoffmann kann das Schicksalhafte mit unglaublicher Leichtigkeit verbinden.

1988 als Geschwitz in Peter Zadeks «Lulu». Sie spricht die ganze Vorstellung über, als hätte sie Steine im Mund. Man hält den Sprachfehler, dazu den spießig karierten Rock zunächst für einen Witz. Aber Jutta Hoffmann hält diesen Witz bis zum bitteren Ende durch. Nicht mal der Selbstmordversuch gelingt. Die Tragik der Lächerlichkeit wird immer unheimlicher. Schlagartig wird klar, warum Wedekind die lesbische Gräfin als eigentliche Heldin der Monstretragödie bezeichnet hatte. Wer ist diese Schauspielerin, die so schlicht so erschütternde Wahrheit gestalten kann? Und wie macht sie das?

Das ihr zum 70. Geburtstag am 3. März 2011 nachträglich gewidmete Buch Jutta Hoffmann. Schauspielerin gibt Antwort. Es ist eine Montage aus Texten von Weggefährten (Egon Günther, Frank Beyer, Lilly Palmer...), Schülern (u.a. Falk Richter), Fotos, Kritiken, Dokumenten und historischen Einschätzungen, die durch zurückhaltende Erläuterungen Hoffmanns verbunden sind. Auch an diesen Erläuterungen fällt die einfache, sachlich-klare Sprache als Erstes ins Auge. Das Geheimnis ihrer Schauspielkunst dürfte also 1. darin bestehen, dass sie immer mit sich identisch ist. Zwischen Mensch und Künstlerin schein kein Widerspruch zu bestehen. 2.: Sie spielt klar, weil sie klar denkt und spricht. Dabei beruft sie sich auf Brecht und sein Theater, das „sich an den Verstand seiner Besucher“ (S.15) wendet.

„Die hat Mut“, fährt es einem bei der Lektüre immer wieder durch den Kopf. Als Schauspiel-Schülerin rebelliert sie gegen die muffige so genannte „Stanislawski-Methode“ der sowjethörigen DDR und verlässt die Filmhochschule ohne Abschluss. Als ihr Intendant ihr am Gorki-Theater „endlich einmal eine große Rolle“ unter seiner Regie anbietet, lehnt sie mit der Begründung „Aber mir gefallen Ihre Inszenierungen nicht“ ab und verlässt das Haus. Und so geht es Schlag auf Schlag weiter, bis sie 1976 gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns protestiert und staatliche Stellen und deren Büttel (Wekwerth, Schall), nachdem Drohungen keinen Widerruf erpressen konnten, verbreiten, „dass Jutta Hoffmann nicht spielen kann.“ (S.97) Alles in Allem ist das Buch also ein Beleg dafür, dass Schauspielkunst auch mit Eigensinn zu tun haben könnte. Was sich heute, wo Anpassung verlangt wird, vor Augen zu führen wieder von Nutzen sein könnte. Boris Kehrmann

Peter Warnecke/Birgit Scholz: Jutta Hoffmann. Schauspielerin.
Das Neue Berlin, 192 Seiten, € 19,95