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Foto: Jörg P. Anders
Foto: Jörg P. Anders

El Siglo de Oro (Das Goldene Jahrhundert)

Ausstellungstipp

Die Weltkarte am Eingang stellt schon mal klar: Spanien hat im 16. und 17. Jahrhundert den Globus dominiert. Gelb eingefärbte Areale beflecken Europa, Lateinamerika, Afrika und Asien. „El Siglo de Oro“ („Das goldene Jahrhundert“) heißt die Epoche von ca. 1550 bis 1660, die sich weitgehend parallel zum Gouden Eeuw der Niederlande vollzog. Hier wie dort haben Reichtum und Macht vor allem in der Malerei ihren Niederschlag gefunden. Die Berliner Gemäldegalerie mit ihrem großen Bestand an spanischen Gemälden zeigt jetzt das goldene Zeitalter Spaniens in seiner ganzen Pracht, aber auch seinem ganzen Schauer. Geholfen haben dabei großzügigen Leihgaben aus dem Prado oder dem Rijksmuseum. Ein Trost: Europa funktioniert noch, zumindest auf dem Gebiet der Kunst.

Präsentiert wird „El Siglo de Oro“ in der zentralen Wandelhalle. Jederzeit kann man zwischen dieser Sonderausstellung und den ständigen Beständen hin- und her wechseln, beide scheinen sich gegenseitig zu kommentieren, ein schöner Nebeneffekt. Erst mal aber zieht El Greco, beziehungsweise sein 1613 entstandenes Monumentalgemälde „Immaculata Oballe“, alle Aufmerksamkeit auf sich. Es zeigt Maria nicht etwa, wie man spontan meinen könnte, im Augenblick der Himmelfahrt, sondern im Moment der unbefleckten Empfängnis. Ganz großes Theater: rauschende Gewänder, geflügelte Engel, knallige Cinemascope-Farben und über allem der Heilige Geist in Gestalt der Taube. Erst 300 Jahre sollte man wieder so malen, und es ist kein Wunder, dass die Expressionisten im 20. Jahrhundert El Greco als Vorläufer für sich reklamierten. Im Zentrum dieser Ausstellung steht allerdings Diego Velázques, der mit seinen adeligen Hofporträts das „Siglo de Oro“ genauso prägte wie Rembrandt das Goldene Zeitalter Hollands. Velázques lebte und arbeitete zu der Zeit, als König Philipp IV. alle Macht am Hof in Madrid zusammenzog. Der Aufstieg der Hauptstadt und das Ende regionaler Kunstzentren wie Sevilla, Toledo oder Valencia bilden sozusagen das historische Hintergrundrauschen dieser Ausstellung, die die These wagt: Gerade der politische Niedergang habe Spanien zu höchster künstlerischer Blüte geführt. Der Begriff vom „Niedergang“ ist nicht weit so weit hergeholt. Trotz des amerikanischen Goldes blieben weite Teile der spanischen Gesellschaft verarmt, und weltpolitisch hatte der Abstieg des Landes schon mit der Niederlage der Armada 1588 gegen England begonnen.

Biblische und antike Szenen (so Velázques berühmter „Mars“), Porträts, Landschaften, Allegorien und Alltagsszenen: Es ist eine fremde Welt, die uns hier anblickt und uns auffordert, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Eine Welt, in der es möglich ist, dass Christus von Kreuz herab den heiligen Franziskus, der 1200 Jahre später gelebt hat, seinen Arm entgegenstreckt, wie in einem Gemälde von Francisco Ribalta. Eine Welt, die gar nicht genug bekommen konnte vom übermenschlichen Leid der Passion, von Blut und Dornen. Was sich nicht nur malerisch ausdrückt, sondern auch in Skulpturen, viele aus Holz geschnitzt. Die Mater Dolorosa von Pedro Roldán rührt auch heute noch zu Tränen. Unübertroffen aber der Bildhauer Gregorio Fernandéz (1576-1636). Er hat einen toten Christus geschaffen, an dessen bleckende Zähne kein Splattermovie heranreicht. Und seine Skulpturengruppe „Gang zum Kalvarienberg“ (1610) mit dem kreuztragenden Jesus und Veronika, die ihm das Schweißtuch reicht, wurde einst regelmäßig bei Prozessionszügen getragen. Es ist Kunst, die tief ins Leben, Denken und Fühlen der Menschen eingesenkt war.

Udo Badelt

„El Siglo de Oro“, Gemäldegalerie am Kulturforum, noch bis 30.10.2016