Einfach mehr Kultur erleben. Mit dem Kulturservice der TheaterGemeinde Berlin

Kundenservice Mo bis Fr 10–17 Uhr

030 21 29 63 00

Christoph Lasius und sein Spandauer "Trostspiel" von 1549

Ausstellungstipp

Die berlin-brandenburgische Theatergeschichte begann im Mittelalter. In den Gottesdiensten wurden die drei kirchlichen Hochfeste Weihnachten, Ostern und Pfingsten durch theatralische Darstellungen zentraler Szenen aus den Evangelien veranschaulicht, ihre Wirkung auf die Gemeinde dadurch vertieft. Eine kleine Ausstellung im Museum Spandovia Sacra erinnert nun an den Einsatz des Schülertheaters im 16. Jahrhundert, um Reklame für die Reformation und gegen den katholischen Klerus zu machen.

Am 1.11.1539 trat Kurfürst Joachim II. in der Spandauer Nikolaikirche zum lutherischen Bekenntnis über. 10 Jahre später führte der Pfarrer derselben Kirche mit 71 örtlichen Lateinschülern, also angehenden Predigern, ebendort „Ein gar schön herrlich neu Trostspiel (...) von der Geburt Christi und Herodis dis Bluthundes“ auf. Mit Herodes war Kaiser Karl V. gemeint. Er führte Krieg gegen die protestantischen Reichsfürsten, um mit Gewalt die Einheit der Religion im Heiligen Römischen Reich zu erzwingen. Das fünfaktige „Trostspiel“ überträgt diesen Religionskrieg ins Bild des bethlehemitischen Kindermordes. Er wird in allen grauenvollen Details minuziös ausgemalt, um das Publikum zu schockieren und gegen Hero­des/Karl V. einzunehmen.

Eingeblasen wird dem König das Massaker von Satan persönlich, der im 4. Akt im Kreise seiner Unterteufel bei der Beratung gezeigt wird. Dahinter verbergen sich Papst Paul III. und die Kurie zu Rom, die Christi Lehre pervertiert hätten. Im Epilog werden die Zuschauer aufgefordert, sich für oder gegen den wahren Glauben zu entscheiden. Das Exempel des Bethlehemitischen Kindermordes beweise, dass wahre Christen Martyrium und Verfolgung um des Glaubens willen jederzeit erdulden mussten. Andererseits zeigt Pastor Lasius aber genauso drastisch, wie der fürstliche Mörder endet: Geschwüre brechen an seinem ganzen Körper auf; Maden zerfressen ihn; er verfault bei lebendigem Leibe und begeht schließlich Selbstmord, um seinen Qualen ein Ende zu bereiten. Wir kennen solche Bilder heute aus Horrorfilmen wie „Der Exorzist“.

Leider gibt es zu dieser Spandauer Theateraufführung von 1549, der bis 1590 fast jährlich ähnliche Spiele in der Kirche folgten, kaum Quellen, die uns überliefern, wie genau die Inszenierung damals aussah und vor sich ging. Die Stadtchronik berichtet nur, dass in der Vierung eigens ein Gerüst aufgestellt wurde. Alle anderen szenischen Präzisierungen sind dem Textdruck von 1586 zu entnehmen, der lange nach Lasius’ Tod, als das Stück politisch ungefährlich war, in Frankfurt an der Oder herauskam. Die Schwäche der Ausstellung besteht darin, dass sie keine Quellen aus anderen Gegenden heranzieht, um uns vor Augen zu führen, wie das Theater der Reformation aussah. Immerhin aber richtet sie unsere Aufmerksamkeit auf die Texte und zeitgeschichtlichen Zusammenhänge dieser faszinierenden Theaterepoche. Im Zentrum steht die Biographie des streitbaren Straßburger Reformators Christoph Rau, der seinen Namen als Luther-Schüler in Wittenberg zu Lasius gräzisierte, und wegen seiner Aggressivität alle Pfarrstellen, die ihm Philipp Melanchthon zuschanzte, nach kurzer Zeit wieder verlor. In Spandau bekam er schon im ersten Jahr einen Verweis wegen seiner scharfen Predigten. Neun Jahre später wurde ihm gekündigt. Boris Kehrmann

In der Kirche sind die Teufel los. Spandovia Sacra, Spandau, Reformationsplatz 12, bis 15.11., Mi, Fr-So 15-18 Uhr, Eintritt frei