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Kleist: Krise und Experiment

Ausstellungstipp

Wer glaubt, Kleist vom Theater her zu kennen, begegnet in der Jubiläumsausstellung zu seinem 200. Todestag im Ephraim-Palais einem Menschen, der einem von Saal zu Saal unheimlicher wird. Dabei haben die Ausstellungsmacher eine Präsentationsform der historischen Porträts, Karten, Originalbriefe, Manuskripte und Erstausgaben gewählt, die nichts mit herkömmlicher kulturhistorischer Ausstellungsarchitektur zu tun hat. Jeder der 20 Räume beherbergt eine Installation, die dem Besucher eher ein möglichst lange nachwirkendes Erlebnis als eine Information vermitteln will. Dass das auf den ersten Blick verwirrend ist, gehört zur Strategie. Denn nur überwundene Widerstände führen dazu, dass man Gelerntes auch behält.

Besonders gut gelungen ist das im Saal zur Schrift „Über das Marionettentheater“, in dem man, von einer Videokamera beobachtet, vor einem Spiegel sitzt, hinter dem ein Gipsaguss des Dornausziehers sichtbar wird. Das Moment der Reflektion im doppelten Sinne, das dem modernen Menschen, wie Kleist ausführt, die Unbefangenheit nimmt, wird hier anschaulich. Ein Regal voll absonderlicher Geräte macht uns mit dem Spinner Kleist bekannt, der sich so verrückte Erfindungen wie eine Lasterschule, eine Bombenpost (Briefbeförderung per Kanone) und ein U-Boot zur Übersiedlung nach Australien ausdachte. Der nächste Saal zeigt einen mit Büchern überfüllten Tisch, der einen verstehen lässt, warum Kleist sein Studium in Frankfurt/Oder abbrach und von seinem kleinen Vermögen lieber auf Reisen ging. Die Reiserouten zeigt der folgende Saal. Dann erwog er eine Heirat, begann aber seine Braut Wilhelmine von Zenge so von oben herab zu „veredlen und erhöhen“, dass sie sich weigerte, mit ihm in die Schweiz zu ziehen und Bäuerin zu werden. Die Installation arrangierte Kleists Brautbriefe in Form einer menschlichen Gestalt: als Kopfgeburt. In Thun himmelt er den „schönen Leib“ Ernst von Pfuels an und gesteht ihm: „ich hätte mir dir schlafen können“.

Eine Filminstallation schlägt die Brücke von dieser erotischen Männerfreundschaft in die Gegenwart. Dann sehen wir ein Kinderstühlchen vor einem Riesenstuhl: Kleist bettelt den König um ein Pöstchen im Staatsdienst an. Nachzuhören auf dem unerlässlichen Ausstellungsführer („Kleist-Phon“), den man kostenlos an der Garderobe ausleihen kann. Der König half nicht, wohl aber einer der preußischen Reformer, der ihn mit nach Königsberg nahm, wo Kleist in einem mit Akten und Regalen vollgestopften Raum den „Zerbrochenen Krug“, das „Erdbeben von Chili“ und „Amphitryon“ schrieb. Beim Studium der Staatswissenschaften an der Universität und als Sachbearbeiter in der Verwaltung der Königlichen Güter stellte er sich aber so ungeschickt an, dass er schon nach anderthalb Jahren wieder seinen Abschied nahm. Die weiteren Stationen zeigen ihn als Liebhaber strategischer Spiele, Kunstkritiker, Journalist und Dichter.

Die Ausstellung endet mit Kleists Grabstein und seinem Nachleben in einer ganzen Wand von Kleist-Ausgaben. Nicht zu fassen, wie viele Arbeitsplätze in Universitäten, Verlagen, Theatern einer geschaffen hat, den man nach bürgerlichen Begriffen als gescheiterte Existenz bezeichnen müsste. Boris Kehrmann

Kleist: Krise und Experiment, bis 29.1.2012. Ephraim-Palais
Di, Do-So 10-18 Uhr, Mi 12-20 Uhr.
Mit TG-Mitgliedsausweis € 3,-, jeweils der 1. Mittwoch im Monat frei.