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Tadeusz Kantor "Wielopole, Wielopole", Fotodokumentation. Foto: Leszek Dziedzic
Tadeusz Kantor "Wielopole, Wielopole", Fotodokumentation. Foto: Leszek Dziedzic

Tür an Tür: Polen Deutschland

Ausstellungstipp

Musik und Theater in der großen Polen-Ausstellung

In ihrem mittelalterlichen Teil ist die kulturhistorische Ausstellung Tür an Tür: Polen – Deutschland, 1000 Jahre Kunst und Geschichte im Martin-Gropius-Bau ein Traum. In ihrer Darstellung des 20. Jahrhunderts dürfte sie bei dem Einen oder Anderen alte Wunden aufreißen. Auch bei 800 Exponaten aus 200 Museen in 22 Sälen lässt sich ein Land in der Mitte Europas, das je nach Perspektive mal Täter, mal Opfer, und je nach Zeitpunkt mal Großmacht, mal vollständig von der Landkarte getilgt war, nicht so darstellen, dass man es allen recht macht. Das Schicksal des Fürsten Anton Radziwill steht exemplarisch für diese Geschichte. Das Erbgut seiner Familie, der reichsten Polens, lag im heutigen Weissrussland, geboren wurde er im heutigen Litauen. Als Russland, Österreich und Preußen Polen 1795 unter sich aufteilten, konnte er zwischen einer Karriere in St. Petersburg oder Berlin wählen. Er entschied sich für Letzteres, heiratete die Schwester Louis Ferdinands, führte einen berühmten Salon in der Wilhelmstraße und komponierte ab 1808 bis zu seinem Tode 1833 eine beachtliche Schauspielmusik zu Goethes „Faust“. Da er Gönner der Sing-Akademie war, ließ sie das Werk zu seinem Andenken in luxuriöser Ausstattung mit Randleisten des jungen Menzel drucken und führte es bis 1892 jährlich auf.

In der Berliner Ausstellung fehlt die Prachtausgabe aus der Berliner Staatsbibliothek zwar. Dafür ist ein Titelblatt-Entwurf von Jacob Götzenberger aus Warschau zu sehen (14.14). Allerdings mit falscher Gattungsangabe („Oper“) und falschem Uraufführungsdatum (1835). Darunter liegen Autographen von Schumann (unvollendete Chopin-Variationen, 1835/6) und Wagner (Polonia-Ouvertüre, 1836), die die Polen-Begeisterung vieler Deutscher nach dem gescheiterten Aufstand von 1830 illustrieren. In einer anderen Koje ist zum gleichen Thema Lortzings erstes Singspiel „Der Pole und sein Kind“ (1832; die Lieder hatte Lortzing allerdings nicht komponiert, sondern bloß adaptiert) in eigenhändiger Partitur und als gedrucktes Libretto aus der Sammlung des großen Lortzing-Forschers Georg Richard Kruse zu sehen. Musikfreunde werden auch mit Handschriften Telemanns, Schönbergs und Pendereckis bedient, während die wunderbar ausgezierten Graduales aus dem 13. (2.11; in Neumenschrift) und 15. Jahrhundert (5.7; gotische Hufnagelnoten) ein Augenschmaus für Jedermann sind.

Ein schönes Porträt B. Strobels zeigt den schlesischen Dichter Martin Opitz (9.20), der 1627 Jacopo Peris „Dafne“ für Heinrich Schütz übersetzte. Das verschollene Werk galt lange als erste deutsche Oper. Heute weiß man, dass es keine Oper war, sondern ein Schauspiel mit gesungenen Aktschluss-Chören. Theaterfreunde können sich in Saal 16 eine Aufzeichnung des Stückes „Wielopole, Wielopole“ (1980) von Tadeusz Kantor (1915-1990) ansehen. Der große polnische Regisseur erzählte darin die Geschichte seiner Familie im Ersten Weltkrieg und über die Unzuverlässigkeit von Erinnerung. Der Film läuft im Original-Bühnenbild. Es war ein Raum der Imagination, den Kantor „Zimmer der Phantasie“ nannte. Die Figuren des Stücks treten alle mehrfach auf und können sich nicht einigen, wie und wo die Möbelstücke damals wirklich standen. Boris Kehrmann

Tür an Tür. Martin-Gropius-Bau, bis 09.01.2012, Mi-Mo 10-20 Uhr, € 12,-