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Die Theaterfotografin Abisag Tüllmann

Ausstellungstipp

Die Frankfurter Fotografin Abisag Tüllmann (1935-1996) ist Theaterfreunden vor allem als Chronistin der deutschen Bühnenrepublik bekannt. 1962 machte sie beim Frankfurter Studententheater ihre ersten Szenenfotos. Sie fuhr 1964 zu den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik, dokumentierte 1967, 1969 und 1971 die antiautoritären Theaterprojekte der Frankfurter Experimenta und lernte dort Claus Peymann kennen, dessen „Hoffotografin“ sie in den folgenden über 30 Jahren bis zu ihrem Tode wurde.

Erstaunlicherweise gehören diese Fotos nicht zu den besten im Rahmen der Retrospektive, die das Museum für Fotografie der Künstlerin aus Anlass ihres 15. Todestages ausrichtet. Von Peymanns Stuttgarter „Faust“ in den Bühnenbildern Achim Freyers (1977) haben die Kuratoren nichts ausgewählt, was dem Besucher einen Eindruck von diesem Versuch, Goethes Klassiker als proletarisches Volkstheater konsequent marxistisch zu deuten, verschafft. Stattdessen sieht man ein – allerdings schönes – Foto des „Vorspiels auf dem Theater“, das nur belegt, wie unbedenklich Peymann die Brecht-Gardine aus Zadeks Hamburger „Othello“ von 1976 geklaut hat. Schaut man sich seinen Bochumer „Weltverbesserer“ an, entdeckt man, dass er 32 Jahre später fast denselben Raum in „Einfach kompliziert“ am BE übernimmt. Ansonsten sieht man Peymann als Dandy oder auf der Probe.
Interessanter sind die Beispiele aus seinem Frühwerk: ein etwas spießiger „Lear“ mit Minetti (Wuppertal, 1972) oder Joseph Beuys mit Becken als „Iphigenie 3“ bei der Experimenta 3 1969 in Frankfurt. Insgesamt fallen Auswahl und Beschriftung enttäuschend aus. Man merkt, dass die Ausstallungsmacher keine Theaterleute sind.
Die Fotos aus Inszenierungen von Breth, Nel, Rudolph, Schleef (der faschistoide Frankfurter „Ur-Götz“), Braak, Swinarski („Marat/Sade“), Bondy, Berghaus (die Frankfurter „Walküre“), Mussbach und anderen fangen nur wenig von dem Spezifischen dieser Theaterarbeiten ein. Wunderbar allerdings sind die Fotos zu Peter Steins „Mutter“ (1970) und „Peer Gynt“ (1972). Sie zeigen, dass damals der ganze Raum der alten Schaubühne am Halleschen Ufer durch revolutionär oder im Stile des 19. Jahrhunderts bemalte Stoffbahnen an den Wänden in das universale Theatererlebnis einbezogen wurde. Die anrührende Therese Giehse ist als „Mutter“ in ihrer eindringlichen Einfachheit zu sehen. Bob Wilson probt, ganz Magier mit Sonnenbrille, „König Lear“ (Frankfurt, 1990) und ein großartiges Portrait zeigt Erwin Piscator 1961 im Hotel. Vor ihm zwei Koffer, die mit nichts als Papieren für seine Inszenierungen gefüllt sind. Ein Besessener.
Zu den Höhepunkten der Theaterabteilung zählen die Bilder, die die Avantgarde-Kunst der 60er Jahre bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik sowie bei den Frankfurter Experimenta dokumentieren (u.a. mit dem jungen Jerome Savary in Arrabals „Labyrinth“).
Die eigentliche Sensation dieser Schau aber ist ihre erste Hälfte, die das politische und gesellschaftspolitische Werk Tüllmanns seit den 60er Jahren zeigt. Hier lässt die Fotografin aus dem Zusammenspiel von Bild und Text im Bild ganze Welten auf einem einzigen Blatt entstehen.

Boris Kehrmann

Museum für Fotografie, Jebensstraße 2 (hinter Bhf. Zoo). Bis 18.9., Di-So 10-18 Uhr, Do 10-22 Uhr.

Für Mitglieder der TheaterGemeinde:4,– € statt 8,– €
Bei Sonderausstellungen sind Preisänderungen möglich.