Einfach mehr Kultur erleben. Mit dem Kulturservice der TheaterGemeinde Berlin

Kundenservice Mo bis Fr 10–17 Uhr

030 21 29 63 00

Wilfried Minks - Bühnenbauer

Buchtipp

Er stellte Shakespeares „Maß für Maß“ in einen Rahmen aus Glühbirnen (Bremen, 1967), ließ die „Räuber“  (Bremen, 1966) vor einem 16-fach vergrößerten Pop-Art-Comic von Roy Lichtenstein toben, um auf die Direktheit und Aktualität von Schillers Sprache hinzuweisen und reanimierte Wedekinds „Frühlingserwachen“ (Bremen, 1965), ein damals „so gut wie vergessenes Stück“ (S. 102), indem er mit einem Riesenfoto der Schauspielerin Rita Tushingham Parallelen zwischen Jugendstil (Klimt) und der Jugendkultur der 60er Jahre zog. Wilfried Minks’ Bühnenräume sind Ikonen der Theatergeschichte. Vieles, was der 1930 im böhmischen Binai geborene Bauernsohn vor fast einem halben Jahrhundert ins Theater einführte, wird heute in zahllosen Varianten nachgeahmt. Der lockere, schnörkellose Gesprächsband Wilfried Minks: Bühnenbauer gibt nun Gelegenheit, aus erster Hand zu erfahren, wie Minks zur Erfindung der Avantgarde auf dem Theater gekommen ist und was seine Bildfindungen bedeuten.

Kulissen zu malen (Fichten, Holzmaserungen, Rokokozimmer) lernte der Heimatvertriebene 1949/50 in Wurzen/Sachsen, „dekorative Malerei“, Grafik und Bühnenbild anschließend in Leipzig (wo er vor dem Sozialistischen Realismus floh) und Berlin. Die schwermütige „Nachkriegspinselei“ der Heimkehrer, die auf dem Theater ihr Leid abarbeiteten, stieß ihn ebenso ab, wie die „deutschen Abstrakten“ (Sellner), deren archaisch sein sollende Monumentalität ihn an „Hitlers Nürnberg“ erinnerte oder die demonstrativ impressionistisch hingetupfte Leichtigkeit der damals so genannten „französischen Art“. Die leeren Räume, die der 1944 gestorbene Traugott Müller für Jürgen Fehling gebaut hatte oder seine fabrikartigen Konstruktionen für Piscator interessierten ihn viel mehr. Und so stellte auch er nach Assistenzen in Stuttgart (1955/56, u.a. bei Wieland Wagner, hier 1. eigenes Bühnenbild: „Dornröschen“, Regie: Johannes Schaaf) und Pforzheim (1956/57) für sein erstes bedeutendes Bühnenbild 1958 in Ulm einen leeren Kasten auf die Bühne, den sechs bunte Stahlsäulen wie Nadeln durchstachen. Was hatte das mit Shakespeares „Viel Lärm um nichts“ zu tun? Nichts. Denn Minks setzte gegen das dekorative Nachkriegsbühnenbild und das ideologische Bühnenbild des politisierten Theaters im Dritten Reich und in den 60er Jahren Theaterräume, die man spielerisch nutzen konnte und sollte. Seine Einflüsse kamen aus der Bildenden Kunst (vor allem die Kasseler Documenta wurde ihm wichtig) und aus der Wirklichkeit. Seine Räume enthielten Zitate aus der Wirklichkeit, wirkten aber selbst wie Kunstwerke, die mit starken ästhetischen Setzungen wie dem Lichtenstein-Comic oder dem Tushingham-Foto auch unabhängig vom Theater einen Schauwert hatten. Das erklärt, warum sie auch auf Fotos noch faszinieren. Selbstverständlich versuchten diese Findungen Wesentliches der Stücke zu reflektieren, für die sie geschaffen worden waren. Selbstverständlich wollten sie Spiel ermöglichen. Aber sie wollten nicht interpretieren (Sinn vorgeben), sondern selbst interpretiert werden. Der vorliegende Interview-Band ermöglicht es dem Leser, Minks’ Arbeit und Arbeiten von 1950 bis 2010 in Selbstzeugnis und Bild detailliert Revue passieren zu lassen. Boris Kehrmann

Ulrike Maack/Wilfried Minks: Wilfried Minks. Bühnenbauer,
Suhrkamp-Verlag, 274 Seiten, € 39,90