Einfach mehr Kultur erleben. Mit dem Kulturservice der TheaterGemeinde Berlin

Kundenservice Mo bis Fr 10–17 Uhr

030 21 29 63 00

Hokusai-Retrospektive

Ausstellungstipp

Hokusais (sprich: Hok-Sei) „Große Welle“ oder Ansichten des Berges Fuji sind durch millionenfache Reproduktion zu Ikonen der Kunstgeschichte geworden. Seine Motive und flächigen Bildkompositionen, schon zu Lebzeiten durch Kunsthändler in Europa verbreitet, haben Manet, van Gogh, Gaugin, die deutschen Expressionisten und viele andere Künstler angeregt. Ohne seinen Einfluss wäre die Moderne undenkbar.
Selbstverständlich zeigt die große Hokusai-Retrospektive im Martin-Gropius-Bau diese berühmten Blätter. Darüber hinaus zeichnet sie mit ca. 450 Exponaten das sieben Jahrzehnte umspannende Schaffen des 1760 geborenen, 1849 gestorbenen Künstlers in seiner ganzen Vielfalt und bisher nie gesehener Fülle nach. Nicht nur die berühmten Holzschnitte sind zu bewundern, sondern auch Zeichnungen, Skizzen, Buchillustrationen, Lehrbücher, Spielkarten, Bastelbögen, Mangas, Fächer, Karikaturen, Druckstöcke und Briefe aus der Werkstatt des Meisters.
Viele Blätter bestechen durch ihre Farbigkeit (Hokusai verwendete das 1706 in Berlin erfundene Preußisch Blau) und den Reichtum an Motiven, die lebendige Einblicke in die japanische Kultur des 18. und 19. Jahrhunderts vermitteln. Zu den Höhepunkten gehören die Tierdarstellungen mit ihrer poetischen Genauigkeit.
Die große Bedeutung, die das Theater im Japan der Shôgun-Zeit hatte, spiegelt sich natürlich auch im Werk dieses Allrounders. Als Thema spielt es dort nur eine nebengeordnete Rolle. In Gestik, Kostüm und Geschichten ist es allgegenwärtig. Etwa 20 einschlägige Blätter finden sich über die ganze, chronologisch angeordnete Ausstellung verstreut. Exponat Nr. 15 (1781/89) zeigt ein typisches Kabuki-Theater in Edo, wie Tokio damals hieß: quer durch das dicht gefüllte Parkett, wo die billigen Plätze waren, läuft ein Steg, die Hanamichi, über den die Schauspieler auftreten. Das Parkett war durch Holzzäune, auf denen die bei 12-stündiger Vorstellungsdauer unerlässlichen Essensverkäufer balancierten, in kleine Logen geteilt, die dazu dienten, das Publikum besser unter Kontrolle zu halten. Die umlaufenden Galerien waren für Angehörige des Hofes reserviert.  Daneben hängen Bilder, die einen Eindruck von den Aufführungen selbst geben (Nr. 16, 31, 46, 321), von den Choreographien der Tanzlieder (Nr. 18, 21), der delikaten Mimik, Gestik und Kostümierung der Schauspieler (Nr. 1, 2, 19, 20, 335), den Masken des Nô-Theaters (Nr. 164). Eine hinreißende Karikatur des Kabuki von 1809/13 bietet Nr. 93. Sie erinnert mit ihren Stupsnäschen, aufgerissenen Mündern und lächerlich übertriebenen Posen an die „Simplicissimus“-Karikaturen Thomas Theodor Heines 100 Jahre später.
Gleich sechs verschiedene Holzschnitt-Meister taten sich 1801 zusammen, um ein ganzes Arsenal unterschiedlichster Theater-Typen auf einem einzigen Blatt zu versammeln. Es diente als Programm für eine Best-of-Gala der Stars des Kabuki-Theaters (Nr. 107). In seinem Lehrbuch für Holzschnitt-Künstler widmete Hokusai 1819 ein besonders groteskes Kapitel dem Theater (Nr. 210), wobei man auch dessen Musikinstrumente kennen lernt (Nr. 200, 204, 214). Soziologisch interessant ist Nr. 84, das die Menschenmassen zeigt, die sich zum Beginn der Theatersaison vor Tokios größtem Theater drängelten. Boris Kehrmann

Hokusai. Martin-Gropius-Bau, bis 24.10., Mi-Mo 10-20 Uhr, € 9,-