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Fotografie als Malerei

Ausstellungstipp

Überwältigende Werkschau der Theaterfotografin Margarita Broich

Im „Spielplan“ vom September 2010 empfahlen wir an dieser Stelle Margarita Broichs broschierten Bildband „Nach der Vorstellung“. Nun zeigen die Berliner Festspiele im Martin-Gropius-Bau bei freiem Eintritt 60 Werke der Theaterfotografin, die sich bei Claus Peymann in Bochum in den 80er Jahren an der Linse ihre Sporen verdiente, um dann die Seiten zu wechseln und sich an der Berliner Hochschule der Künste zur Schauspielerin ausbilden zu lassen. Schon dieser Lebensweg ist ungewöhnlich. Broichs Werke aber – und man muss sie so nennen, weil sie jedem Kunstanspruch standhalten – sind schlicht überwältigend. Ein Buch kann dieses Erlebnis nicht ersetzen. Warum?

Die Ausstellung zeigt die Fotografien, davon ca. 45 neue, im Posterformat. Sie sind bis 3 m x 1,5 m groß. Dabei verlieren sie nichts von ihrer Brillanz. Im Gegenteil. Die dargestellten Schauspielerinnen und Schauspieler scheinen plastisch aus dem Rahmen heraus zu treten. Man möchte sie berühren. Das führt bei einem der schönsten Aufnahmen des Buches, dem Blick in Bob Wilsons personenreiche Dreigroschenoper-Garderobe am BE, dazu, dass man sich an die niederländischen Gildenbilder erinnert fühlt: an Rembrandts Nachtwache oder die Gruppenbilder von Frans Hals. Eine ganze Kulturgeschichte des Theaters wird lebendig in diesen höchst unterschiedlichen Gesichtern, die mit dem Kamerauge kokettieren, spielen, sich in Szene setzen oder es ignorieren. Gleich gegenüber hängt ein neues Riesenbild von Ulrich Tukur mit Hund (2010), das wie eine verlorene Menschenlandschaft von Edward Hopper ausgeleuchtet ist. Kate Winslet in der Garderobe ist eingebettet in ein labyrinthisches Spiel mit Spiegeln, aus deren einem ihre Garderobière blickt. Man fühlt sich augenblicklich an Velázques „Las Meniñas“ im Prado erinnert.

Höhepunkt reiht sich an Höhepunkt. Es fällt schwer, sich ein Lieblingsbild herauszugreifen. Aber den Atem verschlug es mir vor Milan Peschel. Todmüde auf den Ellenbogen gestützt, schaut er nach Frank Castorfs Tschechow-Inszenierung „Nach Moskau! Nach Moskau!“ aus dem Bild. Broich komponiert Licht und Dunkelheit hier so genial, dass man augenblicklich versteht, warum die Kunstfotografie die Malerei des 20. und 21. Jahrhunderts ist. Die Fotografin scheint sich in die Porträtmalerei der großen russischen Realisten und Zeitgenossen Tschechows vertieft zu haben. Auch das wunderbare Portrait von Christoph Schlingensief nach seiner Zürcher Inszenierung „Sterben lernen“ (2009) ist so ein Bild, das einen nicht mehr los lässt. Oder Thomas Quasthoff. Broich platziert den durch Contergan geschädigten Meisterbariton vor einem Stich des Fenice-Theaters in Venedig, das 13 Jahre vor der Aufnahme in Brand gesteckt wurde. Abgründig!

Zum Piepen hingegen ist Peter Jordan als Bilderbuch-Teufel, pechschwarz wie ein Schornsteinfeger geschminkt, mit Hörnern, grotesken Wolfskrallen-Schuhen und langem Schwanz in Christian Stückels Salzburger „Jedermann“-Inszenierung 2010, während Angela Winkler als Hamlet bei Peter Zadek mit ihrem eigenen Schatten spielt. Unbedingt hingehen. bke

Wenn der Vorhang fällt. Margarita Broich, Fotografien. Martin-Gropius-Bau, bis 30.5.2011, Mi-Mo 10-20 Uhr, Eintritt frei