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Wie Gustav Mahler die Opernregie revolutionierte ...

Buchtipp

... und das Vergnügen abschaffte.

Bekannt ist Gustav Mahler (1860-1911) heute vor allem als bedeutendster Sinfoniker der Moderne. Zu seinen Lebzeiten aber war er vor allem als einer der fanatischsten Reformer des Opernbetriebs berühmt und berüchtigt. Bereits mit 20 begann er seine Kapellmeister-Karriere mit Possen und Operetten an der Spitze eines 12-Mann-Orchesters am Kurtheater im oberösterreichischen Bad Hall. Über Laibach, Olmütz, Kassel, Prag und Leipzig arbeitete sich der ehrgeizige junge Mann mit seinem Talent, aber auch mit allen Mitteln zielstrebigen „Networkings“ hoch, bis man ihm 28-jährig die Position des Direktors der Budapester Oper antrug. Wie er das tat, kann man jetzt anschaulich, detailliert und im Originalton in einem Buch des angesehenen Mahler-Kenners Franz Willnauer mit 237 Geschäftsbriefen Mahlers an Komponisten, Dirigenten, Intendanten, Förderer und Kollegen nachlesen. Sie umfassen die gesamte Spanne seines Arbeitslebens von 1880 bis 1911 und erlauben uns, dem Theatermann gleichsam bei der Arbeit über die Schulter zu schauen.

Da gibt es zum Beispiel seit Kassel (1884/85) ständig Reibereien mit dem so genannten „Regisseur“, der damals vor allem den Probenplan aufstellte und damit die Aufgaben versah, die heute der Disponent versieht. Mahler konnte nie genug proben und reagierte mit einer Mischung von Devotion und Gereiztheit. Berühmt-berüchtigt sind seine Eingriffe in die Originalpartituren: In den Prager „Hugenotten“ strich er kurzerhand den 5. Akt. Für Mozarts „Figaro“ komponierte er in Wien eine Szene nach, die er für das Verständnis der Handlung für unerlässlich hielt. Seinem Kasseler Intendanten gegenüber begründete er das Verfahren, Passagen, die die Sänger oder Musiker nicht bewältigen konnten, umzukomponieren oder zu streichen, mit dem „Usus“ „aller Dirigenten der Welt“, da „der Dirigent eines musikalischen Werkes jeden Augenblick gezwungen ist, mit Rücksicht auf die stimmliche Anlage der Sänger oder auf stoffliche Verhältnisse, an Stelle des Componisten die nothwendigen Dispositionen zu treffen.“ (S. 38) Wie sehr der Probenfanatiker Mahler mit dem Theater „verheiratet“ war, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass er an allen seinen Wirkungsstätten Verhältnisse mit einer oder mehreren Sängerinnen unterhielt, was regelmäßig zu einem Skandal und zum Abgang des in seinen beruflichen Qualitäten allgemein anerkannten Musikers führte.

Über Hamburg (1891-1897) kam Mahler schließlich an die total verschlampte Wiener Hofoper, wo er sorgfältige musikalische und szenische Probenarbeit, moderne Übersetzungen und Ausstattungen und die Prinzipien eines am dramatischen Inhalt und Ausdruck eines Werkes orientierten Regie statt des bisher üblichen „Konzerts im Kostüm“ einführte. Er ließ das Licht im Saal wie in Bayreuth ausdrehen, womit er die gesellschaftlichen Kreise des Vergnügens beraubte, während der Vorstellung die Toiletten des Publikums zu mustern, und die Saaltüren nach Beginn für Zuspätkommer verschließen. Den alten Kaiser veranlasste das zu der verwunderten Bemerkung: „Aber Herr Kapellmeister, die Oper soll doch ein Vergnügen sein.“ bke

Gustav Mahler: Verehrter Herr College! Briefe an Komponisten, Dirigenten, Intendanten. Zsolnay Verlag, 422 Seiten, € 24,90