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Foto: HL Böhme
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Abend über Potsdam

Veranstaltungstipp

Als Ernst Rose das Gemälde zum ersten Mal sieht, verschlägt es ihm den Atem. „Das ist ein Bild der Zeit“, staunt der Mann. „Wer wir waren, wer wir sind“. Er meint das Werk „Abend über Potsdam“ der Berliner Malerin Lotte Laserstein, das ihn selbst und vier weitere Menschen an einer karg gedeckten Tafel auf dem Balkon zeigt. Die Stadt im Hintergrund ist wolkenverhangen, die Stimmung unter den Freunden bei Tisch schwer melancholisch gefärbt: Ziellose Blicke, sprachlose Gesichter. Man spürt: Hier geht etwas zu Ende. Und herauf dämmert nichts Gutes. Lotte Lasersteins „Abend über Potsdam“, entstanden 1929/30, hängt heute in der Neuen Nationalgalerie in Berlin. Es ist das Hauptwerk der Künstlerin, die in der Weimarer Republik zu den ersten Absolventinnen der UdK zählte und der Neuen Sachlichkeit nahe stand. Der Dramatiker Lutz Hübner und seine Ko-Autorin Sarah Nemitz haben sich von ihrem Leben und Schaffen zu einem Stück inspirieren lassen, das so heißt wie das Gemälde: „Abend über Potsdam“. Manches darin ist historisch verbürgt, vieles im Sinne der Geschichte hinzuerfunden. Entstanden jedenfalls ist ein Sittenbild über die Affekte politischer Umbrüche auf die menschlichen Beziehungen, das die Regisseurin Isabel Osthues am Hans Otto Theater mit viel Gespür für Nuancen auf die Bühne gebracht hat. Laserstein (Marianna Linden), die als Jüdin Ende der 30er vor dem Naziterror nach Schweden fliehen musste, portraitiert in ihrer Abendmahlszene eine Gruppe von Freunden: ihr Lieblingsmodell Traute Rose (Meike Fink) und deren Mann Ernst (Philipp Mauritz), Dramaturg eines Possentheaters. Den Journalisten Bodo Imhoff (Florian Schmidtke), der zwecks Broterwerbs für den „Völkischen Beobachter“ zu schreiben beginnt. Die Telefonisten Lise (Nina Gummich), die mit einem SA-Mann anbandelt. Und das Modell Maria Goldmann (Zora Klostermann), das als „leichtes Mädchen“ auf die schiefe Bahn gerät. Wie rasant der Ungeist der Zeit dieses ohnehin fragile Miteinander vergiftet, das zeigt „Abend über Potsdam“ beklemmend heutig.

Patrick Wildermann