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Die Hose

Veranstaltungstipp

Was für ein Skandal! Da ist der braven Bürgersfrau Luise Maske doch in aller Öffentlichkeit die Unterhose auf die Knöchel gerutscht. Ausgerechnet am Rande einer kaiserlichen Parade. Lüsterne Blicke hat sie trotz langer Röcke auf sich gezogen! Entsprechend heftig fällt der Zorn ihres Gatten Theobald Maske aus, der seiner Gattin aus Sorge um Anstand, Reputation und Stellung ordentlich den Marsch bläst („Schlampe, Trulla, Sternguckerin!“). Was für ein Skandal? Als das Lustspiel „Die Hose“ des Dramatikers Carl Sternheim anno 1911 Premiere feiern sollte, griffen tatsächlich noch die Theater-Tugendwächter ein und erwirkten erstmal ein Verbot aus Gründen der „Sittlichkeit“. Schlüpfer-Schwänke, die bürgerliche Doppelmoral und Bigotterie aufs Korn nehmen, besaßen damals tatsächlich noch Erregungspotenzial. Darauf heute zu spekulieren, wäre dann doch etwas vermessen, was natürlich auch Regisseurin Tina Engel weiß. Die treibt ihren Sternheim am Renaissance-Theater lieber konsequent in die expressionistische Farce und freut sich an den eigenwilligen Wortgirlanden des mittlerweile selten gespielten Leipziger Dramatikers (1878-1942). Klaus Christian Schreiber spielt den verbeamteten Ober-Spießer Theobald, der zwar über dampfenden Hammelschlegeln Keuschheit predigt. Wegen der willkommenen Moneten aber zwei Herren als Untermieter bei sich aufnimmt, die bei der unziemlichen Hosen-Sause besonders große Augen bekommen haben: den gespreizten Schriftsteller Scarron (Guntbert Warns) sowie den blässlichen Friseur Mandelstam (Boris Aljinovic). Deren Schwänzeltanz um Hausherrin Luise (Christin Nichols) wird von der eifrig kuppelnden Nachbarin Getrud Deuter (Annika Mauer) noch befeuert. So wenig fruchtbar er auch bleibt… Im Kostüm der Epoche und im taubengrauen Bürgerheim von Bühnenbildner Momme Röhrbein sieht man zwei Stunden lang einem bestens aufgelegten Ensemble bei körperintensiven Sternheim-Exerzitien zu, die sich nicht nach Aktualität strecken. Und trotzdem Mentalitäts-Brücken ins Heute schlagen. Kein Skandal. Ein großer Spaß!

Patrick Wildermann