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Ungläubiges Staunen. Über das Christentum.

Buchtipp

Vielleicht muss es so sein. Vielleicht muss erst ein Muslim kommen, also einer, wenn man so will, „von außen“, um Christen die Schönheit ihrer eigenen Mystik und ihrer Kunst zu erklären – die viele vergessen haben. Nun trifft die Charakterisierung als „Muslim“ natürlich nur eine Facette von Navid Kermani. Er ist Muslim, klar, seine Eltern kommen aus dem Iran, er hat sich in Orientalistik habilitiert. Aber Kermani ist auch Deutscher, in Siegen geboren, er ist scharfsinniger, engagierter Publizist, Schriftsteller und vor allem: Kölner. Er lebt „zu Füßen des Doms“, wie er in seinem Buch „Ungläubiges Staunen. Über das Christentum“ (2015) schreibt. Einer, der ganz nah dran ist an Ritus, Tradition, Geschichte zweier Weltreligionen, ein Vermittler und Brückenbauer – der vollkommen folgerichtig 2015 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde.

„Ungläubiges Staunen“ ist ein wunderbares Buch. Weil es einen unverbrauchten Blick wirft auf einige der überwältigendsten Werke christlicher Kunst: von Sandro Botticelli, Albrecht Dürer, Hieronymus Bosch, El Greco, Leonardo da Vinci und immer wieder Caravaggio, der es Kermani besonders angetan hat. Dass die Auswahl völlig subjektiv ist und keinem anderen Plan folgt als der zufälligen Begegnung des Autors mit ihr, stört dabei überhaupt nicht. Weil es nicht um Vollständigkeit geht, sondern einzig darum, anhand der Bilder etwas, einen Zipfel vom Wesen des christlichen Glaubens zu erhaschen, von der Bedeutung von Begriffen wie Auferstehung, Mutter, Kreuz oder Licht. Die Kunst dienst Kermani dabei als Vehikel.

Sein genauer, sezierender, dabei immer subjektive Blick, der nie in den Habitus des Kunstgeschichtlers verfällt, bereitet enormes Lesevergnügen. Ein willkürliches Beispiel: „So selbstverloren blickt eine, die sich beim Geliebten geborgen weiß“, schreibt er über Maria und Jesus in El Grecos „Der Abschied Christi von seiner Mutter“, „und tatsächlich schaut er sie mit Augen an, die zugleich begehren und behüten. Das ist weniger ein Erlöser als einer, der in der Liebe selbst Erlösung fand, das ist ein Brennen und Bewundern, ein beinahe schon komisches Schmachten, wie du dir einen Romeo vorstellst, und müsstest dich doch nur erinnern, wie du selbst groß geliebt.“ Die verborgenen, auch sexuellen Schichten unter den Bildern freizulegen, macht Kermani sichtlich Spaß. Eine feine Linie überschreitet er dabei nie: Immer spricht er, immer bekennt er seine Faszination fürs Christentum als Muslim, als Beobachter – nicht als Christ. Hübsch doppeldeutig also das Adjektiv „ungläubig“ im Buchtitel. Und doch streut er immer wieder erhellende Bezüge zum Islam ein, vor allem zu den Sufis, aber auch zum Moscheebau. Etwa, wenn er schreibt, dass jede Kirche ein Herz hat (den Altar), wohingegen eine Moschee gerade in ihrer kanten- und zentrumslosen Rundung zum Ausdruck bringen will, dass Gott in der Weite, in der Endlosigkeit, sprich: überall anwesend ist.

Die Werke sind im Buch durchaus mit Absicht so abgedruckt, dass der Leser meist erst zwei Seiten von Kermanis Beschreibung liest, das entsprechende Werk also erst vorm inneren entstehen, bevor es beim Umblättern tatsächlich sichtbar wird. Übrigens sind nicht nur große Meister aus Renaissance und Barock darunter, sondern auch Zeitgenossen: ein Kreuz von Karl Schlamminger oder das Fenster im südlichen Querhaus des Kölner Doms von Gerhard Richter. Was einen so innigen Herzenskölner wie Navid Kermani natürlich nicht kalt lassen kann. Udo Badelt

Navid Kermani: Ungläubiges Staunen. Über das Christentum.
Verlag C.H. Beck, € 24,95