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Wunderkammer

Veranstaltungstipp

Machen wir uns nichts vor: Das Wort Zirkus klingt bei uns immer noch nach dem berüchtigten Mix aus Trapez, Clowns und Tieren. Davon ist der nouveau cirque, der Neue Zirkus, der ursprünglich aus dem französischsprachigen Raum kommt, allerdings so weit entfernt wie das Millowitsch-Theater von Castorfs Volksbühne. Hier geht’s zwar auch um das Staunen, zu welchen Verbiegungen, Schwerkraft-Verspottungen und sonstigen Höchstleistungen Körper so fähig sind. Aber im Herzen ist der Neue Zirkus dem Geschichtenerzählen näher. Mit den Mitteln der Performance, des Burlesquen, des Anarchischen.

 Ein Paradebeispiel dafür ist im (frisch renovierten!) Varieté Chamäleon in den Hackeschen Höfen zu sehen. Dort gastiert die australische Compagnie C!RCA mit ihrer weitgereisten Show „Wunderkammer“ – bereits zum zweiten Mal, in neuer Besetzung. Unvermindert kunstfertig, versteht sich. Der Abend ist eine Art „Sommernachtstraum“ des Zirzensischen. Er entführt in eine erotisch vernebelte, abgründig humorvolle Alles-ist-möglich-Welt, in der vor allem ein berauschend mehrbödiges Spiel mit Geschlechteridentitäten und anderen konventionellen Zuschreibungen getrieben wird.

 Acht Artisten, vier Frauen, vier Männer, nutzen herkömmliche Accessoires der Verführung in ihrem ganz eigenen Sinn. Das beginnt schon damit, dass die Männer – die den Pferdeschwanz auch gern mal am Hintern tragen – hier das gleiche Recht auf High Heels oder Tänze an der Striptease-Stange (im Fachjargon: Vertical Pole) haben wie die Frauen. Die wiederum beherrschen das An- und Ausziehen so formvollendet, dass sie die Hände dafür gar nicht mehr benutzen müssen. Und zeigen, wofür Stöckelschuhe eigentlich gut sind: für groteske Stepptänze auf Noppenfolie nämlich. Zwischen solchen Harlekinaden des Fröhlich-Verruchten bietet „Wunderkammer“-Regisseur Yaron Lifschitz natürlich auch noch erstklassige Artistik. Purzelnde Menschen-Pyramiden, Hula-Hoop-Nummern mit nicht mehr zu zählenden Reifen, eben alles, was einen guten Zirkus ausmacht. Den Neuen, versteht sich.

Patrick Wildermann