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Götz Friedrichs "Orpheus in der Unterwelt"

CD-DVD-Tipp

Am 18.12.1983 erlebte die Deutsche Oper Berlin eine Sternstunde heiteren Musiktheaters. In der dritten Spielzeit seiner Intendanz hatte Götz Friedrich fast sein gesamtes Ensemble samt Chor und Ballett versammelt, um Offenbachs Orpheus in der Unterwelt nicht als Operette, sondern mit allem Pomp als Grand Opéra zu inszenieren. Am 1.1.1984 übertrug der SFB die dreistündige Produktion live im Fernsehen. Im Rahmen seiner DOB-Opernserie hat Arthaus Musik diesen Mitschnitt nun auf DVD herausgebracht. Wider Erwarten ist das trotz der vergangenen Jahrzehnte und einer Besetzung, der man auf dem Papier nicht so recht traut, auch heute noch ein Riesenvergnügen. Am meisten gealtert ist die Gestik des Fernsehmoderators Norbert Ely.

Der künstlerische Erfolg basierte auch darauf, dass Friedrich Erfahrung mit dem Stück hatte. Bereits 1975 hatte er es als Riesenspektakel beim Holland Festival in einem Amsterdamer Revue-Palast inszeniert und schon damals die schlanke Urfassung von 1858 um hinreißende Szenen und freche Chöre aus Offenbachs eigener Revue-Fassung von 1874 bereichert. Die Fehler der früheren Produktion konnte er in seiner Berliner Weiterentwicklung vermeiden, was funktioniert hatte, konnte er ausbauen. Dazu gehörte eine wirklich witzige Textfassung, die den Reim auf kabarettistische Weise beibehält (man freut sich ja immer, wenn die Sprache «denkt», statt dass das Denken «spricht») und mit Anspielungen auf die damalige Aktualität gespickt ist: Wende, Olympiade, Regietheater, Dallas, Emanzen etc. Und Jesús López Cobos dirigiert wie der Teufel. Aller Witz, alle Drahtigkeit, alle Farben und alle Poesie dieser hinreißenden Partitur kommen zur Geltung, ohne Wünsche offen zu lassen.

Aus Amsterdam hat Friedrich auch seinen Teufel, George Shirley, mitgebracht, der auf dem Bildschirm einen Tick zu alt wirkt, was angesichts seiner Eleganz aber nicht stört, und im Gegensatz zu allen Anderen französisch singt. Für Friedrich kommt die Sünde nämlich aus Paris. Darum verlegt Ausstatter Andreas Reinhardt die Unterwelt in einen Luxus-Puff der Offenbach-Zeit, während Theben mit Kornfeld und AKW-Kulisse eindeutig im ländlich-prüden Amerika lokalisiert ist. Die Idee kam den Inszenatoren sicher, weil sie für die Eurydike ihres stets spärlich bekleideten Luxuskörpers wegen die damals aufgrund des «Carmen»-Filmes prominente New Yorker Musical-Diva Julia Migenes engagierten. Die bringt mit ordinärem Akzent und geschäftstüchtiger Professionalität ein hinreißendes Schillern zwischen Flittchen und Upper Class in die Partie, das für das Nichtidiomatische ihres Gesangs entschädigt. Joan Collins lässt grüßen.

Die Protagonisten des Olymps waren die Wagner-Veteranen Hans Beirer und Astrid Varnay, weswegen der 2. Akt auch in einem «Zauberberg»-Sanatorium spielt, das als «Hotel Walhall» deutschbewußtere Zeiten erlebt hat und nun zu einem «Hotel Olymp» EUisiert wurde. Hier zaubert Wagner-Diva Janis Martin als Diana zauberhafte Klagetöne aufs Parkett, lässt Annabelle Bernard spätherbstliche Venus-Reize spielen und fährt Neuzugang Peter Maus singend Rollschuh. Seine geniale Komiker-Talente werden heute leider völlig vernachlässigt. Hans Lohner lässt als Styx die Wiener Tradition der Zeitstrophen wieder aufleben, Mona Seefried ist als Öffentliche Meinung eine echte «Emma»-Bissgurke und Donald Grobe sieht aus wie ein fülliger Bruder Offenbachs. Ein Vergnügen. Boris Kehrmann

Offenbach: Orpheus in der Unterwelt. Deutsche Oper Berlin 1984. Arthaus Musik 101 679 (2 DVDs)