Jedermann Remixed. Die Salzburger Festspiele 1920-2010
CD-DVD-TippSeit 1920 steht Hugo von Hofmannsthal „Jedermann“ (mit Unterbrechungen 1922-25 und 1938-1945) jedes Jahr auf dem Spielplan der Salzburger Festspiele. Das Grundmodell der Inszenierung stammt immer noch von Max Reinhardt: Das Spielgerüst vor Fischer von Erlachs barocker Domfassade, die Einbeziehung der 5 m hohen Heiligenfiguren und der Glocken der Stadt, die berühmten „Jedermann“-Rufe von den umliegenden Kirchtürmen, dem St.Peters-Friedhof und der Festung. Sogar die choreographischen Arrangements der Szenen lassen bei ständig wechselndem Kostümstil noch Reinhardts Modell erkennen. Hannes Rossachers Dokumentation Jedermann Remixed zeigt jetzt aber auch, wie sich Theaterverständnis, Schauspielerpersönlichkeiten, ästhetische Vorstellungen und mit ihnen allen auch Reinhardts Inszenierung in den 90 Jahren zwischen 1920 und 2010 wandelten.
Da der Salzburger „Jedermann“ immer Snob-Appeal besaß – „Ehre sei Gott in der Höhe der Preise“, spottete Karl Kraus –, boten seine Besetzungen immer die jeweils höchst angesehene deutschsprachigen Schauspieler-Garde auf. Und auch die Kameras waren von Anfang an oft dabei. Nicht weniger als vier verschiedene Gesamtaufzeichnungen sind derzeit bei Arthaus Musik auf DVD erhältlich: Diejenigen mit Nicholas Ofczarek (2010), Peter Simonischek (2004), Ulrich Tukur (2000) und Ernst Schröder (1970). Diejenige mit Reinhardts Lieblings-Jedermann Attila Hörbiger (1949) ist als Tondokument bei Orfeo greifbar.
Die luxuriöse Dokumentationslage macht es Rossacher möglich, einen 90-minütigen Zusammenschnitt des Stückes und der Vorstellungen zu erstellen, der - teilweise von Vers zu Vers - zwischen den Jahren und Jahrzehnten hin und her springt. Da sehen wir Alexander Moissi, den ersten Salzburger Jedermann bis 1931, sich im Renaissance-Kostüm exaltiert gegen die Schläfen trommeln, als er die Stimme des Todes vernimmt. An seiner Seite die in ihrer altjüngferlichen Backfischhaftigkeit heute nicht mehr ernst zu nehmenden Buhlschaft Dagny Servaes, die die Rolle von 1926-1937 spielte. Paul Hartmann ist ein vierschrötiger Jedermann, Will Quadflieg ein Elegant, der noch beim Sterben edel tremoliert, Ernst Schröder ein grober Misanthrop, Curd Jürgens ein verbitterter Onkel, Maximilian Schell ein Macho-Schönling, Klaus Maria Brandauer ein immer fröhlicher Partytiger, Helmut Lohner der ewige Raisonneur und Nörgler, Gert Voss der Klassenkasper, Ulrich Tukur der Dandy, Peter Simonischek der scheinliberale Banker, Nicolas Offczarek der brutale Yuppie. Auch der Tod macht mit den Jahren charakteristische Wandlugen durch: vom Klappergerippe über den mittelalterlichen oder barocken Sensenmann, den schwarzen Abt aus Ingmar Bergmans „Siebtem Siegel“ bis hin zur bleichen Leiche und zum verwesenden Zombie. Man sieht, wie Filme unser Bild von ihm prägen. Die Schauspielerleistungen der Buhlschaft unterliegen den stärksten Schwankungen. Schönheit geht hier vor Begabung.
Leider führt das Booklet die benutzten Filme, ihr Entstehungsjahr, ihre Besetzung nur summarisch und unpräzis auf. Wer die Sequenzen der DVD bestimmten Inszenierungen oder Jahren zuordnen möchte, muss sich auf sein Gedächtnis und seine Kenntnis der Schauspieler verlassen. bke
Hannes Rossacher: Jedermann Remixed. Eine Zeitreise durch neun Jahrzehnte Salzburger Festspiele 1920-2010.
Arthaus Musik 101 590 (1 DVD, 90 Minuten)