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Friedrich Wilhelm Murnau

Ausstellungstipp

Die kraushaarigen Knaben sind höchstens 15, 16. Als nackte Faune tummeln sie sich in einem paradiesischen Garten um den Swimming-Pool, der einem Teich ähnelt. Sie lassen Blumen auf dem Wasser schwimmen, springen hinein oder klettern hinaus, lesen auf dem Rasen, blicken in die Kamera oder stellen Posen der Kunstgeschichte nach: den antiken Dornauszieher, den Romantiker am Fenster, Goyas nackte Maja, Flandrins hockenden Jüngling.

Die Fotos fanden sich zusammen mit knapp 200 Negativen 1993 in einer Kiste, in der das beim Schnitt ausgesonderte Material von Friedrich Wilhelm Murnaus letztem Film, „Tabu“, entsorgt wurde. Sie belegen eine Seite der Persönlichkeit des 1931 bei einem Autounfall in Kalifornien verunglückten Regisseurs, die einigen Zeitgenossen bekannt war, über die er selbst sich aber konsequent ausgeschwieg: seine Homosexualität. Das Schwule Museum widmet ihr nun eine Ausstellung, die auch seine berühmten Filme, darunter „Nosferatu“ und „Faust“ mit Emil Jannings, in einem neuen Licht erscheinen lässt.

Frappierend an den erstmals gezeigten Fotos ist ihre absolute Diskretion. Murnaus Blick hat nichts Lüsternes. Die Knabenbilder entstanden 1927 in seiner Villa in Hollywood, wo Murnau nach dem „Faust“-Erfolg „Sunrise“ drehte. Dessen Hauptdarsteller George O’Brien hatte sich als viriler Westernheld einen Namen gemacht. Bei Murnau wird er als Bauer mit groben Stiefeln und Sieben-Tage-Bart von zwei Frauen angehimmelt. Der Regisseur lud ihn auf seine 20 m lange Segelyacht ein, wo er als Bodybuilder mit breitem Kreuz für ihn posierte. Ein erstaunlich explizites Foto. Die anderen Gäste waren eher sensible Jünglinge Mitte 20. Hier frappiert erneut, dass Murnaus Porträts das erotische Begehren, das er für sie empfunden haben mag, zu absoluter, reiner Schönheit sublimiert.

Die zentralen Szenen von „Sunrise“, 1926/27, erzählen eine Liebesgeschichte auf einem See. Im Sommer 1927 kehrte Murnau mit einem japanischen Studenten nach Berlin zurück. Dort lernte er den Zeitungsausträger Hans Jahnke kennen, den er nackt am und auf dem Havelberger See fotografierte. Jahnkes Freundin Ruth Landshoff schoss ein Foto, das beide im Gras zeigt: Wieder schaut Murnau völlig unbefangen in die Kamera, während der Jüngling den berühmten Mann anhimmelt.

Das Rätsel wird im Laufe der Ausstellung noch größer, denn auch die Bilder vom Ende seines kurzen, nur 42-jährigen Lebens verraten nicht, auf welchen Typ Mann er eigentlich stand. Die sieben Besatzungsmitglieder seines imposanten Dreimasters, denen er in fantastischen Porträts Aura verleiht, sind eher vierschrötige Arbeiter, schwere Jungs mit kantigen Zügen. Die eingeborenen Hauptdarsteller seines letzten Films, „Tabu“, den er auf Tahiti drehte, sind muskulös, aber weichhäutig und sensibel. Murnau schwärmte im Tagebuch von Matahi, einem „großartig gewachsenen Eingeborenen, eine Marathonfigur mit klassischem Kopf und klugem Gesichtsausdruck.“ Die Ausstellung zeigt aber auch seine Lebensgefährten: den expressionistischen Dichter Hans Ehrenbaum-Degele, der 1915 in Russland fiel und den Maler-Musiker Walter Spies, der 1923 nach Bali auswanderte. Murnau setzte ihn in seinem ausgestellten Testament zum Haupterben seines beträchtlichen Vermögens ein. Boris Kehrmann

Friedrich Wilhelm Murnau: Die privaten Fotografien. Schwules Museum, Lützowstraße 73, bis 10. März. Mi-Mo 14-18 Uhr, Sa 14-19 Uhr, € 6,-