Mozarts "Don Giovanni" an der Deutschen Oper 1961
CD-DVD-TippDer Film macht es möglich, in die Vergangenheit zu schauen. Am 24. September 1961 wurde die Deutsche Oper Berlin mit Mozarts "Don Giovanni" eröffnet. Der seit 1912 als Städtische Oper an derselben Stelle bespielte Vorgängerbau stürzte 1943 im Bombenhagel ein. Nach dem Krieg wurde das Theater des Westens genutzt. Die deutsche Teilung machte die Frage einer westberliner Oper zu einer Frage nationalen Prestiges. 1953 schrieb der Senat den Architektenwettbewerb für ein neues Haus an alter Stelle aus, das einen Monat nach dem Bau der Mauer in politisch aufgewühlten Zeiten seine Pforten öffnete. Die Gala-Premiere fand in hochkarätiger Besetzung vor geladenem Publikum statt. Zeitgleich wurde bundesweit im Fernsehen eine Aufzeichnung der Generalprobe vom Vortag (23.9.1961) gesendet. Dieses nun auf DVD veröffentlichte Dokument ermöglicht es uns, heute nachzuvollziehen, wie vor 50 Jahren Oper gespielt wurde.
Regie führte nicht irgend jemand, sondern der Darmstädter Schauspielmann Carl Ebert (1887-1980), den Walter Felsenstein als „Vater unser aller Bestrebungen“ bezeichnete. Ebert hatte die Städtische Oper 1931 gemeinsam mit Fritz Busch und Caspar Neher auf den Gipfel ihres Ruhmes geführt und zum Leuchtturm modernen Musiktheaters gemacht. Nach seiner Vertreibung war er, wieder zusammen mit Busch, der Kopf des Mozart-Wunders in Glyndebourne. Für seinen Berliner „Don Giovanni“ holte er sich Georges Wakhevitch ins Boot, den Bühnenbildner Peter Brooks, Jean Cocteaus, Jean Renoirs und René Clairs, einen viel beschäftigten Mann, der auch spektakuläre Filme ausstattete und das Bühnenbild zur Uraufführung von Poulencs „Gesprächen der Karmelitinnen“ entworfen hatte.
Und was sehen wir? Gemalte Kulissen, die teils wie Buchillustrationen, teils wie Grafiken, teils wie „pittura metafisica“ (de Chirico) wirken, Dalì-Treppchen, barocke Balkone und Tore, klobige Karyatiden mit Hängebrüsten, die die sexuell aufgeladene Atmosphäre symbolisieren, Kostüme wie aus der Faschingsabteilung von Karstadt. Mag auch die Ästhetik zeitverhaftet gewesen sein. Die Genauigkeit der Personenführung, die starke Persönlichkeit der Sänger, die unvergleichliche Textarbeit und Textverständlichkeit vermögen auch heute noch zu fesseln. Man sang Deutsch, pikanterweise die von Goebbels bestellte Übersetzung Georg Schünemanns, eines geschickten Karrieristen, die die „jüdische“ Hermann Levis ersetzen sollte, aber gar nicht schlecht ist.
Dietrich Fischer-Dieskau, damals 36 Jahre jung und prächtig bei Stimme, gab einen überraschend komödiantischen Don Giovanni mit geschmeidiger Diktion. Die Rezitative wirken fast wie Schauspiel. Den Übergängen vom Sprechen ins Singen zu folgen ist ein Genuss. Ihm steht mit dem 32-jährigen Walter Berry ein Vollblutkomödiant mit bassigem Timbre zur Seite. Elisabeth Grümmer, damals die beste Anna, ist ein Wunder an Wärme und dramatischer Intelligenz. Donald Grobe (31) ist ihr ein zärtlicher Ottavio, Pilar Lorengar (32) eine packende Elvira, Erika Köth (36) eine doppelbödige Zerlina, Ivan Sardi (31) ein guter Masetto und Ferenc Fricsays Mozart-Stil hatte schon damals Biss und Nerven. Auch wenn einen die Optik manchmal ratlos macht: Insgesamt ist es ein bewegendes Dokument der Oper aus einer anderen Zeit. Boris Kehrmann
Mozart: Don Giovanni. Deutsche Oper Berlin 23.9.1961.
Arthaus Musik 101 574, 2 DVDs