Gustaf Gründgens. Biographie
BuchtippWarum soll man sich heute für Gustaf Gründgens (1899-1963) interessieren? Weil seine Story spannend ist, suggeriert uns Thomas Blubacher. Der Schweizer Theaterwissenschaftler, der mit seiner Doppelbiographie der in Drogen und Alkohol abstürzenden Berliner Jet-Set-Geschwister Francesco und Eleonora Mendelssohn einen Roaring-Twenties-Bestseller geschrieben hat und mit seiner Biographie der Schweizer Emigranten-Theater-Legende Oskar Wälterlin nicht ganz so erfolgreich war, beginnt in bester „Tatort“-Manier mit dem Tod seines jüngsten Helden in einem lauten Luxushotel in Manila. Die Sensations-Presse raunt von Selbstmord. Sie setzt GGs 39 Jahre jüngeren Lebensabschnitts- und Weltreise-Gefährten ins Bild und überlässt es den Lesern, sich aus schlüpfrigen Details das Bild zu ergänzen.
Blubacher folgt ihr. War es so oder so oder so? Der weniger Sensationslüsterne Leser merkt aber gleich, dass der notorisch schlaflose Gründgens seine tägliche Schlaftabletten-Ration aus Versehen überdosierte. Zur Erregung dürfte der Streit mit seinem Reisebegleiter, der sich gegen Gründgens’ Bitte ins Nachtleben von Manila stürzte, und der Ärger über das helle Hotelzimmer beigetragen haben. Blubacher pfeffert das Kapitel noch ein wenig nach: GGs letzter Lover, Sohn eines Hamburger Obst- und Gemüsehändlers, den er als Beleuchter am Schauspielhaus kennen lernte, sei nach Affairen u.a. mit Christoph Eschenbach 1991 an AIDS gestorben; Gründgens’ Neffe machte Karriere als Porno-Produzent. Dann beginnt der seriöse Teil der Biographie. Manchmal etwas zu trocken berichtend.
Blubacher blendet an die Wiege des Düsseldorfer Kaufmannssohnes zurück, der, da der Autor nichts über GGs ersten Theatereindrücke eruieren konnte, etwas zu zufällig zur Bühne kam, um sich vor dem Dienst an der Front zu drücken. Auch Gründgens’ Aufstieg in den 20er Jahren bleibt blass. Wie sahen die expressionistischen Inszenierungen aus, in denen er zum Publikums-Magneten avancierte? Gründgens’ Lust an der Verwandlung, an der subversiven Kraft des Intellektuellen, sein Spiel mit Identitäten bleiben schemenhaft. Der Akzent dieser Kapitel liegt auf seinem wilden Freundeskreis, dessen Umgang mit Sexualität und mancher Groteske, etwa wenn GGs Trauzeuge auf der Hochzeit offen mit dem Bräutigam flirtet.
1928 reüssierte GG als Gentleman-Verbrecher in Berlin. Sechs Jahre später machte Göring, der den Kunst-Mäzen spielen wollte, den 35-Jährigen zum Intendanten des Schauspielhauses am Gendarmenmarkt, an dem Frau Göring als 40-jähriges Gretchen Gründgens’ Partnerin gewesen war. Sein Vorgänger war künstlerisch so impotent, dass auch seine Gesinnungstüchtigkeit ihn nicht halten konnte. Nachdem GG wegen seiner stadtbekannten Homosexualität mehrfach in der Presse angegriffen wurde, ernannte Göring ihn 1936 zum Staatsrat. Damit durfte er nicht ohne Görings Erlaubnis verhaftet werden. Nach dem Krieg erwirkte Ernst Busch seine Entlassung aus dem Kriegsverbrecher-Lager. Gründgens hatte dem Kommunisten in GESTAPO-Haft 1944 das Leben gerettet. Wie vielen anderen auch. Wer Blubachers detailreiche Biographie aufmerksam und zwischen den Zeilen liest, zieht menschlich und künstlerisch Gewinn aus ihr. Gründgens’ Lichtseiten imponieren neben seinen unleugbaren Schattenseiten. Seine Regie-Methoden wie manche seiner Rollen-Auffassungen können uns auch heute noch bereichern. Boris Kehrmann
Thomas Blubacher: Gustaf Gründgens. Biographie
Henschel, 432 Seiten, € 34,90