Katharine Mehrling: "Am Rande der Nacht"
VeranstaltungstippKatharine Mehrlings Show am Wintergarten ist naturgemäß eine Mischung aus Konzert, Conférence und Variété. Zwischen die Songs ihrer aktuellen CD Am Rande der Nacht (2011) sind fünf erstklassige akrobatische Acts eingelassen. Hier einen Höhepunkt zu nennen, fällt schwer. Es ist immer der, den man gerade gesehen hat. Der rothaarige Spinnenmensch Fleeky bietet im Harlekins-Kostüm Verknotungs-Varianten aller vier Gliedmaßen, auf die man in seinen schlimmsten Alpträumen nicht kommt. Das russische Duo Artemiev träumt am Trapez hingegen den Wunschtraum von der Schwerelosigkeit mit unaufdringlicher Kraft und fließender Eleganz der Evolutionen. Allein der Anblick der harmonisch durchgebildeten Muskelgruppen in Aktion ist ein Genuss.
Der französische Rad-Akrobat Serge Huerco sieht aus wie Tim ohne Struppi. Mit einer Mischung aus Clownerie, Piaf und allen möglichen oder vielmehr unmöglichen Arten, in die Pedale zu treten, holt der fünffache Kunstradfahrmeister einen Hauch Paris an die Potsdamer Straße, während auf der Bühne die altmodischen Straßenlaternen an- und ein riesiger Mond stille vor der Silhouette des Eiffel-Turms aufgeht. Die italienischen Brüder Joe und Karel Saly versetzen eine weibliche Versuchsperson aus dem Publikum mit ihren in irrsinnigem Tempo an langen Fäden gefährlich um ihren Kopf rotierenden Hartplastikkugeln in Angst und Schrecken. Der Katalane Ignasi Gil Baldero schraubt sich schließlich allein mit der Kraft seiner Füße und Oberschenkel bei waagerecht ausgestrecktem Oberkörper 10 Meter den Chinesischen Mast hoch, um kopfunter wieder hinab zu schießen und kurz vor dem Aufprall zu stoppen. Bibber!
Und die Musik? Katharine Mehrling zeigt hier mit Chansons von Marlene Dietrich bis Piaf, von der Jodel-Parodie bis zum Großstadt-Blues viele Facetten ihrer wandlungsfähigen Persönlichkeit, gibt sich aber immer ganz intim und authentisch. Mein Favorit? Ihre Conférence in verschiedenen englischen und deutschen Mundarten und Dialekten. bke