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Lampenfieber

Buchtipp

Wer hätte gedacht, dass selbst professionelle Schauspieler, Sänger, Tänzer und Musiker Höllenängste vor ihrem Auftritt ausstehen? Die Freiburger Musikhochschule hat in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum sogar ein eigenes Institut für Musiker mit Auftrittsangst eingerichtet. Das Problem Lampenfieber scheint also weiter verbreitet, als man sich träumen lässt. Die Freiburger Institutsleiterin, Prof. Dr. med. Claudia Spahn, bereitet das Thema nun in einem Ratgeber populär auf. Der soll angehenden Profis, aber auch Laien Ratschläge zur Selbsthilfe geben und ist mit Anekdoten aus dem Leben der Großen gespickt. Ob zur Auflockerung oder um Spöttern den Wind aus den Segeln zu nehmen, sei dahin gestellt.

Jedenfalls wird einem signalisiert, dass man sich mit seinen Auftrittsängsten in bester Gesellschaft befindet. Dass die argentinische Pianistin Marta Argerich ein Nervenbündel ist, war bekannt. Aber auch der Jahrhundert-Cellist Pablo Casals wurde bis zum Ende seines Lebens von der Panik geplagt, dass er das Podium betritt und ihm der Anfang des zu spielenden Stückes nicht mehr einfällt. Enrico Caruso terrorisierte an Auftrittstagen seine gesamte Umgebung. Beim geringsten Geräusch fuhr er aus der Haut. Und außer Kamillentee konnte er nichts zu sich nehmen. Ob das stimmt? Erst als ihm die Sympathie des Publikums entgegen schlug, war er wieder Mensch. Die große Schauspielerin Agnes Fink schloss sich ab Mittag in ihre Garderobe ein und Sarah Bernhardt schreckte ihre jungen Partner mit dem Bonmot: „Das Lampenfieber kommt mit dem Talent.“ Besonders gern bedient sich Claudia Spahn aus der Biographie der patenten amerikanischen Sopranistin Renee Fleming.

Seine inhaltliche Strukturierung verrät das Handbuch für den erfolgreichen Auftritt schon im Untertitel. In einem ersten Kapitel werden Grundlagen gelegt, also der Begriff Lampenfieber definiert sowie die psychosomatischen Prozesse erläutert, die bei der Entstehung von Auftrittsangst ablaufen. Evolutionsbiologisch wird sie als Relikt jener Angst vor dem Feinde erklärt, die den Urmenschen instinktiv zur Mobilisierung und Konzentration seiner äußersten Kräfte reizen sollte, um den Feind anzugreifen und in die Flucht zu schlagen. Dieses Bild liegt im 3. Kapitel Maßnahmen auch jenen Übungen zu Grunde, die den Leser anleiten, seine Angstenergien positiv umzuleiten.

Doch zuvor widmet sich das 2. Kapitel der Analyse der gesellschaftlichen, persönlichen und situativen Rahmenbedingungen, die Lampenfieber verursachen und beeinflussen und mitnichten über einen Kamm zu scheren sind. Sie fordern den Leser auf, Lampenfieber individuell zu reflektieren und nicht ein Patentrezept für alle Fälle und Menschen zu erwarten.

Zur Belohnung für all die geduldig absolvierten reflexiven, kognitiven, körperlichen, mentalen und situationsbezogenen Trainingsaufgaben gibt es am Schluss noch einmal ein ausführliches Interview mit dem Schauspieler, Regisseur und Intendanten Gerd Heinz, der anschaulich aus der Praxis plaudert und verrät, was für seltsame Probleme und Problemlösungsstrategien in der Realität auftauchen. Da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich. Und wer immer noch nicht genug hat, kann sich aus dem reichhaltigen Literaturverzeichnis weitere Nahrung für seine Angstlust herauspicken. Boris Kehrmann

Claudia Spahn: Lampenfieber. Handbuch für den erfolgreichen Auftritt, Henschel-Verlag, 160 Seiten, 18,90