Jubiläumsband 50 Jahre Schaubühne
BuchtippEnttäuschung macht sich breit. Der von Jürgen Schitthelm herausgegebene Jubiläumsband 50 Jahre Schaubühne ist in seiner ersten Hälfte die um 50 % gekürzte, um einige Fotos erweiterte Neuauflage des 1987 erschienenen Bildbandes zum 25-jährigen Jubiläum des Theaters. Selbst das Vorwort: fast wörtlich übernommen. Sein aristokratischer Ton klang schon in der geteilten Stadt elitär. Nach der Wiedervereinigung berührt er vollends peinlich. Die Schaubühne ist gut, aber sicher nicht die Weihestätte hoch über den Ebenen des Berliner Theateralltags.
Manche Kürzung ist zu beklagen. Schade etwa, dass Bild und Kritik der 1965er „Antigone“ von Claus Peymann gestrichen wurden. Friedrich Luft attestierte ihr „eine betont einfältige Faszination“: „Hier kippt Brechts Intention in die pure Parodie.“ Peymann, heute BE-Chef, war damals 28. Luft ergänzt: „Sprechchor ist ohnehin ein Ausdrucksmittel, dem barbarische, dem (für mich) ausgesprochen faschistische Elemente innewohnen.“ Was hätte er zur aktuellen Sprechchor-Renaissance gesagt, die Einar Schleef auslöste? Wie gehen wir mit dem Faschismus-Vorwurf um? Um Querverbindungen dieser Art herzustellen, liest man doch solche Bücher!
Trotzdem ist der Band geblieben, was er 1987 war - nur bis 2012 fortgeführt: ein mittlerweile 600-seitiges Bilderbuch, ein Nachschlagewerk der Besetzungen aller 403 Inszenierungen mit ausgewählten Kritiken, ein Band zum Blättern, Stöbern, Erinnern, Entdeckungen Machen, sich Wundern, ins Grübeln Geraten. Da trifft man auf Verrisse, die auf die Kritiker zurückfallen, weil die Produktionen in die Theatergeschichte eingegangen sind und die Kriterien, nach denen sie niedergemacht wurden diejenigen, die sie anlegen, alt aussehen lassen. Man schmunzelt, wenn Angela Winkler als Nobody gegen die „Virtuosen“ Edith Clever und Jutta Lampe ausgespielt wird. Man freut sich an gelungenen Formulierungen und schüttelt den Kopf, wenn zwei Rezensionen dieselbe Aufführung so beschreiben, dass es unmöglich dieselbe gewesen sein kann. Man erfährt, dass die Schaubühne schon in den 70er, 80er Jahren postmigrantisches Theater mit babylonischen Mythen und türkischen Gastarbeitern machte. In Klaus-Michael Grübers „Bakchen“ waren 1974 alle Männer (Bruno Ganz, Otto Sander...) nackt wie antike Statuen, ohne dass sich jemand darüber aufgeregt hätte. In Peter Steins „Übungen für Schauspieler“ konnte man ihnen beim Duschen, bei Beschneidungs- und Wiedergeburtsriten zusehen. Ach, Bieito!
Hier und dort staunt man: Volksbühnen-Held Bernhard Schütz, Ursli Pfister, Jenny Schily, Kirsten Harms’ Gatte Bernd Damovsky, Peter Mussbachs Kostümbildnerin Andrea Schmidt-Futterer, Regie-Rabauke Jürgen Kruse, Heiner Goebbels, Elena Kats-Chernin und viele andere verdienten sich hier ihre Sporen. In den 80er Jahren maulten Kritiker über den Ästhetizismus der Schaubühne und vermissten Gegenwartsbezug. Heute maulen sie umgekehrt. Eines aber zeigen schon die Bilder: Die Schaubühne unter Thomas Ostermeier hat nichts mit der unter Peter Stein zu tun. Seltsam, dass Ästhetiken, die so wenig mit einander zu tun haben, zwischen zwei Buchdeckeln Platz finden. Boris Kehrmann
50 Jahre Schaubühne 1962-2012. Hg. von Jürgen Schitthelm, Theater der Zeit, 600 Seiten, 585 Fotos, € 50,-